Gemeinsame Werte, gemeinsamer Weg

Seit 1958 sind wir in Adelshofen unterwegs und spüren dem Auftrag Gottes nach. Wir leben Berufung, definieren Prozesse und orientieren uns am Ziel. Br. Matthias Böker und Christian Pletsch erklären, auf was wir dabei besonders achten und warum es nicht reicht, gemeinsame Werte nur zu haben. Sie müssen auch gelebt werden. Und das ist leichter gesagt als getan.

Dieser Beitrag erschien im LZA-Journal 3/2025

Gemeinsame Werte, gemeinsamer Weg

Manche Menschen gehen gern gemeinsam wandern. Allerdings – es sind wahrhaft nicht alle gleich dabei. Der eine kann ordentlich Tempo machen, fühlt sich schnell mal unterfordert und hält Ausschau nach dem nächsten Gipfel. Ein anderer möchte lieber langsam gehen, die Gegend genießen, Zeit haben für die schönen Momente und Einblicke, die Blumen am Wegesrand. Einer hat immer sein Handy für Fotos im Anschlag, und andere verstehen gar nicht, wofür man dieses Ding überhaupt mitschleppt. Und während einer einfach nur die Stille genießt, hat ein anderer Redebedarf. Menschen sind zwar unterschiedlich – aber dennoch gemeinsam auf dem Weg.

Was sie dabei zusammenhält, ist zum einen das gemeinsame Ziel: Die Hütte, der Gipfel. Sie wollen alle dort ankommen. Aber das reicht noch nicht. Es ist auch sehr wichtig, gemeinsam dort anzukommen. Und das ist längst nicht dasselbe. Gemeinsam einen Weg zu gehen, bedeutet doch, auch aufeinander zu achten, Rücksicht zu nehmen und einander zuzuhören. Das kann zwar allen, die mitwandern, klar und wichtig sein, sie können davon als wichtigen Werten zutiefst überzeugt sein, aber das ist noch kein Garant dafür, dass es dann auch klappt. Es ist nämlich gar nicht so einfach, stets nach der eigenen Überzeugung zu handeln. Doch genau das wäre so wichtig, sonst werden vor allem Gemeinschaften kaum ein gemeinsames Ziel erreichen können.

Auch in der Stiftung Lebenszentrum Adelshofen sind wir gemeinsam unterwegs – wie Wanderer. Damit wir uns unterwegs nicht verlieren, haben wir klar formuliert, was unser Auftrag ist, den wir verwirklichen möchten: Wir leben gemeinsam einen geistlichen Rhythmus des Gebets, geben Gottes gute Botschaft weiter und begleiten Menschen und Gemeinden. Theologische Forschung und Lehre geben hierfür wichtige Impulse und wirken darauf hin, dass unser Dienst weitergeführt, weiterentwickelt und ausgeweitet wird – durch uns und durch die, die bei uns ihr Studium absolvieren. Doch das sind erst einmal „nur formulierte Ziele“, unsere Kernaufträge, es geht also ums „was“. Um das dann gemeinsam umzusetzen, um gemeinsam den Weg zu gehen und auch gemeinsam ans Ziel zu zukommen, dafür brauchen wir auch gemeinsame Werte. Sie helfen uns über das „Was“ hinaus auch zu beschreiben, wie wir diese Reise miteinander unternehmen.

Die Werte, die uns in Adelshofen prägen, sind dabei nicht aus der Luft gegriffen. Sie haben ihre Wurzeln tief in der Geschichte des Werkes, sind gewachsen und geformt worden. Vor drei Jahren haben wir sie in einem Leitbildprozess für die Stiftung gemeinsam formuliert. Sie sind sicherlich nicht abschließend umfänglich, aber sie zeigen deutliche Schwerpunkte auf, die uns auf dem gemeinsamen Weg wichtig sind und die uns zusammenhalten. Am Anfang stehen dabei die Werte, die zum Ausdruck bringen, wie wir gemeinsam unser geistliches Leben gestalten. Der erste und für uns wichtigste davon ist die Praxis unseres Glaubens an Jesus Christus:

Glaubenspraxis

„Wir leben unseren Alltag aus dem Gebet, Bibelstudium und Zeiten der Stille. Dafür nehmen wir uns Zeit, persönlich und gemeinschaftlich. Darin finden Anbetung, Dank, Fürbitte und Sündenbekenntnis ihren Raum. In unserer Gemeinschaft finden sich Menschen aus unterschiedlichen Gemeindehintergründen in Landes- und Freikirchen. Wir praktizieren verschiedene Formen christuszentrierter Spiritualität und lernen voneinander.“

Durch den geistlichen Aufbruch in Adelshofen und die dadurch geschenkte Gemeinschaft in Jesus Christus, wurde dem damaligen Team um Pfarrer Otto Riecker die persönliche geistliche Erfahrung der Wiedergeburt zum wesentlichen Fundament des gemeinsamen Lebens. Eins in Christus zu sein, befähigt und hilft uns bis heute, den jeweiligen Gemeindehintergrund des anderen zu achten und von ihm zu lernen. Um die Neubekehrten nach der Erweckung im Glauben zu gründen, traf Pfr. Riecker sich mit ihnen im alten Konfirmandensaal, oben in der Adelshofener Kirche, um die Bibel zu lesen, darüber zu sprechen und zu beten. Auf Pfarrkonferenzen kannte er von Frank Buchman (1878-1961), dem Gründer der Gruppenbewegung, den Wert der persönlichen Stillen-Zeit. Von Buchman stammt das Zitat: „Wenn der Mensch horcht, redet Gott. Wenn der Mensch gehorcht, handelt Gott.“ Die Zeit zum persönlichen Hören auf Gott ist uns bis heute unendlich wichtig.

Wir wollen unsere Arbeit aus dem regelmäßigen Gebet heraus tun, wollen im Gebet gegründet sein, unsere Verbindung zu Gott halten und ausdrücken. Das ist der Grund für unsere Gebetszeiten, die wir von Anfang des Lebenszentrums an zur entscheidenden Priorität gemacht haben. In den früheren Jahren trafen wir uns zum Elf-Uhr-Gebet, da zu dieser Stunde eine Glocke vom Dorfkirchturm läutet. Als wir 1963 mit dem Bau des ersten Hauses beginnen wollten, lag an dem vorgesehenen Bauplatz noch ein großer Haufen alter Abbruchsteine, die wir für den Kellerbereich nutzen wollten. Hier versammelten wir uns täglich, nahmen Gottes Verheißungen für uns in Anspruch und beteten für die finanziellen Mittel, die für den Baubeginn nötig waren. Während das Brüderhaus dann gebaut wurde, gab es Gebetsschichten, die die Arbeiten begleiteten. Heute sind unsere Gebetszeiten durch Arbeits- und Lebensabläufe neu sortiert und wir kommen drei Mal täglich in der Kapelle zusammen: Zum Morgengebet um 7:30 Uhr, mittags um 12:25 Uhr anstelle des Elf-Uhr-Gebets und mit dem Abendgebet um 17:00 Uhr beschließen wir den Tag. Zusätzlich beginnen viele Arbeitsgebiete ihr Schaffen mit einer Gebetsgemeinschaft, Geschwister der Kommunität treffen sich immer wieder zu Gebetszeiten und auch im Unterricht des Theologischen Seminars hat das Gebet bis heute seinen festen Platz. Daraus wird deutlich, dass das gemeinsame Beten für uns auf der einen Seite ein ganz wichtiger Wert ist, den wir leben. Gleichzeitig ist das Beten aber auch ein gottgegebener Auftrag, den wir sehr ernstnehmen. Wir loben Gott, danken ihm, bekennen unsere Schuld, treten für andere ein und bringen unsere Anliegen vor ihn. So wollen wir gemeinsam unseren Dienst erden, oder besser gesagt, „himmeln“, und bringen im Gebet unser Gottvertrauen zum Ausdruck.

Vertrauen

„Wir leben im Vertrauen darauf, dass Gott unser Werk durch Spenden trägt und versorgt. Wir informieren über unsere Vorhaben, Projekte und unseren Bedarf, bitten Gott um seine Versorgung und vertrauen auf sein Handeln.“

So wie die Erweckung, der geistliche Aufbruch in Adelshofen von Gott initiiert wurde, wussten wir uns auch in der Gestaltung dieser geistlichen Bewegung von Gott abhängig. Das galt sowohl für das persönliche Leben als auch für die finanzielle Versorgung, für Mitarbeiter und Freunde. Jeder gab das ihm Mögliche an Zeit, Gaben und Finanzen, geleitet im Vertrauen, dass Gott uns versorgen würde. Sehr früh wurde uns durch den Bibelschul-Unterricht Matthäus 6,33 zu einem Grundwort der Gemeinschaft: „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit! Und dies alles wird euch hinzugefügt werden.“ In diesem Vertrauen gehen wir weiter, auch heute, Schritt für Schritt. Eng damit verbunden ist der nächste Wert:

Zukunftsorientierung

„Weil wir eine begründetete Hoffnung haben, die über das Hier und Jetzt hinausreicht, sind wir in unserem Handeln auf die Zukunft ausgerichtet und wollen unseren Auftrag immer wieder neu denken und kreativ gestalten.“

Das wurde der Kommunität unter anderem sehr deutlich, als die Gottes-Ruf-Halle geplant wurde, ursprünglich war diese nämlich um einen Seitenflügel kleiner vorgesehen. In der persönlichen Andachtszeit am Morgen wurde dann aber eine Schwester durch ein Wort der Bibel sehr deutlich angesprochen und ermutigt, das Bauprojekt großzügiger und geräumiger zu planen. Das teilte sie dem Planungsteam mit, es wurde besprochen, die Kommunität beriet das Anliegen und entschied dann gemeinsam, die Halle tatsächlich wesentlich größer und zukunftsorientiert zu planen. Dieser Blick nach vorn spielte auch in der Gründung der Stiftung eine wesentliche Rolle, denn die Stiftung ist auf Zukunft hin angelegt. Es soll weiter gehen mit der Arbeit, die Gott in Adelshofen begonnen hat. Weiter – nicht im Sinne eines Hamsterrades, das sich zwar dreht, aber nicht von der Stelle kommt, sondern weiter ganz im Bild der gemeinsamen Wanderung. Damit das gelingt, haben wir weitere Werte beschrieben, die uns leiten sollen, darunter Wertschätzung und Vergebungsbereitschaft:

Wertschätzung

„Das Gebot der Nächstenliebe lebt aus der unbedingten Wertschätzung jedes einzelnen Menschen. Das bedeutet auch, den Nächsten in seinem Anderssein zu respektieren.“

Grundlage der gegenseitigen Wertschätzung ist unser Gottesbild und Menschenbild. Der Mensch ist dem Schöpfer gleichgestaltet (Genesis 1,26) und von ihm wertgeschätzt (Psalm 8,5). Dieser Blick auf uns selbst und unseren Mitmenschen befreit und schafft Raum. Dabei gilt es, diese Wertschätzung auch sichtbar zu machen und zu teilen. Zum Beispiel wenn wir mit einem freundlichen, anerkennenden Wort jemanden vor anderen erwähnen oder einer Person einfach danken für das, was sie getan hat, oder dafür, dass sie einfach da ist.

Vergebungsbereitschaft

„Gott schenkt uns seine Gnade völlig unverdient. Aus seiner Gnade wollen wir schöpfen und einander vergebungsbereit begegnen.“

Unsere Dienst- und Lebensgemeinschaft fordert dazu täglich heraus. Wer hier lebt, merkt schnell, dass man sich nicht dauernd aus dem Wege gehen kann. Wo Menschen aufeinandertreffen, da werden sie aneinander schuldig. Wird Schuld nicht ausgeräumt, so blockiert sie das innere Wachstum einer Gemeinschaft. Die holländische Christin Corrie ten Boom, deren Familie die Nationalsozialisten im Konzentrationslager größtenteils auslöschten, besuchte auch uns in Adelshofen in den frühen Jahren der Bibelschule. Ihr herausforderndes Thema war die Vergebung. Mit Leidenschaft sprach sie von dem großen Ozean der Liebe Gottes, in den alle Schuld gegeben werden kann. Weil Corrie ten Boom durch die Liebe Gottes die Vergebung ihrer eigenen Schuld erfahren hatte, konnte sie auch denen vergeben, die ihrer Familie unendliches Leid zugefügt hatten. Ihr Beispiel half uns, auch einander Vergebung zuzusprechen.

Ein Redner sagte uns einmal ein englisches Sprichwort: „If you bury a dog, bury both, body and tail“. Wenn du einen Hund begräbst, begrabe beides, Körper und Schwanz.“ Will sagen: Ziehe nicht nach einer gewissen Zeit längst vergebene Dinge wieder am „Schwanz“ hervor. Und das kann richtig herausfordernd sein. Wie gerne behalten wir den Zugriff, um schon längst vergebene Schuld dann doch noch mal – im richtigen Moment, wie wir uns einreden – hervorzuholen und dem anderen als sein Fehlverhalten unter die Nase zu reiben. Doch damit stehen wir uns nur selbst im Weg. So wollen wir die Bereitschaft zur Vergebung immer wieder neu einüben als Christen, die selbst jeden Tag aus der Vergebung Gottes leben.

Christian Pletsch ist Kaufmann und Theologe, war Leiter der KEB in Deutschland und ab 2016 Verwaltungsleiter des LZA, 2022 wurde er dort zum ersten Vorstandsvorsitzenden der neuen Stiftung berufen. Christian ist mit Kerstin verheiratet und Vater von zwei Teenager-Töchtern.

Br. Matthias Böker leitete das Lebenszentrum bis 2022, begleitet heute Menschen als Mentor und Seelsorger, steht bei der Gestaltung von Übergangsprozessen zur Seite und hat Zeit für spontane Besucher. Er gehört seit 1988 zur Kommunität.