Wie ein Baum

Bilder helfen immer wieder, um wesentliches zu beschreiben. Um etwas nachvollziehbar und greifbar zu machen, was in der eigenen Komplexität manchmal nur schwer gelingt. Und um die Frage nach der kommunitären Zukunftsperspektive zu beantworten, nutzt Sr. Martina Luschnat das Bild vom Baum und erklärt, was das mit den Schwestern und Brüdern zu tun hat.

Dieser Beitrage ist im LZA-Journal 2/2025 Perspektive haben erschienen.

Schon Ende letzten Jahres schrieb Sr. Dora im Journal über das „Wir“ mit Blick auf unseren kommunitären Weg der letzten Jahrzehnte und auch darüber, dass wir in den letzten Jahren als Kommunität nicht weiter gewachsen sind. Und tatsächlich taucht in manchen Gesprächen immer wieder diese eine Frage auf: Habt ihr denn noch Nachwuchs? In einer Welt, in der Zahlen eine wichtige Rolle spielen, ist es sogar verständlich, dass zuerst nach Anzahl und Menge gefragt wird, nach der Quantität. Schließlich gibt es genug Aufgaben bei uns zu erledigen, und das bekannte „viel hilft viel“ ist da nicht ganz von der Hand zu weisen. Je größer eine Organisation ist, je mehr Menschen an einem Ort zusammenleben oder miteinander im Dienst unterwegs sind, desto größer sind dann eben auch die Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Und bei der Frage nach dem kommunitären Nachwuchs steckt bei vielen womöglich auch die Frage nach unseren Zukunftsaussichten dahinter. Welche Perspektive kann schon eine Kommunität haben, bei der das Alter größer und die Kräfte kleiner werden?

Die Würde der Alten
Älter werden ist im Übrigen auch schön – und ein schöpferischer Vorgang, den wir in der Natur besonders bei Bäumen beobachten können. Das Höhenwachstum eines Baumes hört nämlich irgendwann auf, aber in die Breite geht es immer. Übertragen auf die Kommunität heißt das für mich: Nach oben, also zahlenmäßig, wird unter Umständen nicht mehr so arg viel passieren, aber in die Breite, sprich in der Lebenserfahrung, da wachsen wir von Jahr zu Jahr. Während in vielen Kulturen und Kontinenten der Erde das Alter und die Alten hohe Würde und Anerkennung genießen, ist diese Sichtweise in unsere Kultur nicht ganz so ausgeprägt vorhanden. Viele wollen wohl alt werden, aber bitte nicht alt sein.

Aber zurück zu uns, denn all das hat ja natürlich viel mit uns als Kommunität zu tun. Welche Perspektiven gibt es nun für uns als Gemeinschaft? Werden wir überleben? Oder sterben wir aus? Um es ganz direkt und ehrlich zu sagen: Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass es durchaus möglich ist, dass Gott eine bestimmte Lebensform als Modell auslaufen lässt. Wir sehen das am realen Beispiel einiger Diakonissenhäuser. Wer hier den Rückschluss zieht, das Auflösen eines solchen Hauses deute auf eine mangelnde Qualität des dort gelebten gemeinsamen Lebens hin, irrt sich gewaltig. In der Geschichte aller heute nicht mehr vorhandenen Diakonissenhäuser sind unendlich große Segensspuren zu sehen. So einfach ist es eben nicht. Und wir sollten es uns auch nicht so einfach machen.

Ich halte es für möglich
Über das Bild vom Baum sprach ich schon, und ich möchte es für ein weiteres Beispiel aufgreifen. Manch alter Baum trägt reichlich abgestorbene Äste und es sieht so aus, als wäre da nichts mehr zu holen. Entweder man schneidet sie aus, oder man sägt gleich den ganzen Baum ab. Aber ist ihnen mal aufgefallen, wie häufig ein uns tot erscheinendes Gehölz plötzlich wieder austreibt? Frisches Grün? Junge Triebe? An Stellen des alten Stammes, an denen man nicht damit gerechnet hat. Das gilt – im Bild übertragen – auch für uns. Ich halte es jederzeit für möglich, dass es Gott gefällt, junge frische Triebe sprießen zu lassen. Ich habe große Zuversicht, dass das gemeinsame Leben in Adelshofen nicht aufhören wird, das neues Grün wächst. Ich halte es gleichzeitig für sehr wahrscheinlich, dass sich aber die Form des uns jetzt bekannten gemeinsamen Lebens als Kommunität früher oder später verändern wird. Reformieren, um es schöner und dynamischer auszudrücken. Vielleicht bedeutet das dann auch, dass wir räumlich enger mit anderen zusammenleben, die nicht unbedingt nach den Evangelischen Räten und im Tragen einer Tracht leben. Und doch sind natürlich gemeinsame Mahl- und Gebetszeiten möglich, und gemeinsames Leben insgesamt, immer unserer Vision folgend: Gott zu ehren, Menschen zu dienen und so die Liebe Gottes weiter in der Welt zu tragen. Ähnliche Formen des Zusammenlebens gibt es schon bei anderen Gemeinschaften unter dem Stichwort „Klosternahes wohnen“. Ob so etwas auch bei uns entstehen könnte, wird auch davon abhängen, was wir zu wagen bereit sind. Und allem voran, welche gemeinsame Schau Gott uns für diese Idee gibt.

Persönlich drüber nachgedacht
In unserem kommunitären Frühgebet am Montag beten wir: „Mit dir zusammen wollen wir Schritte des Glaubens wagen, auf Neues, Unbekanntes uns einlassen. Lass das Schöne und das Schwere dazu dienen, dass uns deine Liebe gewisser wird.“ Das betet sich leichter, als es gelebt werden kann. Weil das Vermögen des Einzelnen, sich auf Veränderung und Unbekanntes einzulassen, unterschiedlich bemessen ist. Das gilt für die persönliche Perspektive ebenso wie für die kollektive. Aber Einzelne haben sich durchaus auf etwas neues eingelassen: Sr. Meike als Pfarrerin mit eigener Pfarrstelle. Sr. Sonja als Betreuungskraft im Altenheim. Sr. Stefanie mit ihrer Arbeit unter Migranten. Br. Stefan hin und wieder im Service im Sinsheimer Stadion. Das sind kleine Veränderungen in unseren kommunitären Strukturen, die natürlich auch Veränderungen ins Gemeinschaftsleben bringen. Doch es ist wichtig sich in den verschiedenen Lebensphasen zu fragen: Was brauche ich, damit ich meine Lebendigkeit nicht verliere? Damit mein Leben für mich und andere sinnhaft bleibt? Welche Werte sind mir denn für mein eigenes Leben wichtig? Ganz unabhängig von Alter und Lebenssituation! Und was ist auch für uns als Kommunität wichtig? Wie gestalten wir unser Leben so, dass es auch altersgerecht ist? Darum wollen wir auch am Haus der Kommunität an- und umbauen, damit es dort Raum für mehr gemeinsame Begegnungen und Essenzeiten für die ganze Gemeinschaft gibt, ohne dass wir immer zwischen Otto-Riecker-Straße und Wartbergstraße hin und herlaufen müssen.

Nicht tun, sondern sein
Ich nutze noch mal das Bild vom Baum: Wir wollen weiter in die Breite wachsen, auch in der Gottes- und Menschenliebe, wollen geduldiger werden mit uns selbst und anderen, üben unsere Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit und arbeiten an der Frustrationstoleranz. Wir möchten uns versöhnen mit dem eigenen geworden sein, mit der eigenen Geschichte, mit dem Umfeld und Mitmenschen. Und wir wollen darin wachsen Menschen zu sein, in deren Gegenwart und Nähe sich andere wohlfühlen. Wir wollen Menschen sein, die Hoffnung haben, die die Erkenntnis gewinnen, dass unsere Berufung sich mehr im „Sein“ ausdrücken darf als im „Tun“. Dass wir Gottes geliebte, wertgeschätzte Kinder sind und aus diesem Verständnis, von dieser Position aus, nicht mehr um die Anerkennung und Achtung der Umgebung ringen müssen, indem wir etwas tun. Wir gewinnen eine geistgewirkte Unabhängigkeit und müssen uns selbst und anderen nichts mehr beweisen. Das ist zwar für Christen nichts wirklich Neues, aber etwas, dass es immer weiter zu vertiefen gilt, das vom Kopf ins Herz kommen muss. Damit der große Schatz unseres gemeinsamen Lebens hier, den Gott uns anvertraut hat, für viele zum Segen wird.

Sr. Martina Luschnat leitet seit 2022 gemeinsam mit einem Team die Kommunität, der sie seit 1994 angehört. Von Beruf ist sie Tischlerin und bekommt noch heute leuchtende Augen, wenn sie Holz riecht – und ist einem guten Steak nicht abgeneigt.

Foto: AlexSava / iStock