Mehr als nur ein Studienhaus

Als sie damals ins Haus kamen, war vieles noch anders. Abläufe und Strukturen haben sich seitdem ebenso geändert wie die Leitung und das Dozententeam. Und jetzt blicken sie zurück, und schauen nach vorn. Denn ihre Zeit ist gekommen, die „Vierties“ ziehen weiter: Carina Wagner, Raymond Albuschies und Florian Hensel über vier Jahre Adelshofen und wachsende Perspektiven.

Dieser Beitrage ist im LZA-Journal 2/2025Perspektive haben erschienen.

Manche Erlebnisse lassen uns schmunzeln, andere prägen uns tief – und einige tun beides gleichzeitig. Die letzten vier Jahre waren gefüllt von vielen Momenten, die uns prägen und dankbar in Erinnerung bleiben. Momenten, die uns herausfordern und solchen, in denen Gott uns und unseren Blick verändert.

Was sind das denn für Typen?
Ray: Nach einem schönen Abendessen in der Küche fragte Carina – auf die fettige Pfanne blickend: „Wer von euch ist der Demütigste?“ „Ich natürlich!“, antwortete ich, und meinte es humorvoll. „Allein deine Frage kratzt schon an meinem Stolz“, fügte ich dann lachend hinzu. Doch da steckte schon auch ein bisschen Wahrheit darin. Als ich in Adelshofen ankam, da hatte ich in den ersten Wochen eine gewisse Spannung auszuhalten: Die Spannung zwischen Hochmut und Demut. Meine Mitstudenten schienen mir weit unter dem von mir erwarteten Niveau der biblischen Grund- und Vorkenntnisse zu liegen. Da ich selbst aus brüdergemeindlicher Richtung kam, war ich mit einem starken Bibelwissen ausgestattet. Ich wollte zwar mit diesem Wissen nicht prahlen und herumstolzieren, doch es führte mich in einen enormen Konflikt. Denn innerlich dachte ich schon immer mal wieder: „Was sind das denn für unwissende Christen? Die wollen Hauptamtliche, Pastoren oder Missionare werden?“

In der Zeit meines Studiums in Adelshofen erlebte ich dann eine immense Lebensveränderung. Nach ein paar Monaten bemerkte ich, dass mein ganzes Bibelwissen keinen Sinn hat, solange es mir nicht gelingt, die Theorie auch in die Praxis umzusetzen. Ich musste erkennen, dass meine Mitstudenten – und dann auch noch Studentinnen… – manchmal bessere Antworten auf Fragen des Lebens geben konnten als ich. Und dass, obwohl sie doch – im Vergleich zu mir – keine Ahnung von der Bibel hatten! Wie konnte das sein? Meine ganzen Ideale wurden auf den Kopf gestellt und ich lernte: All mein Wissen muss den Praxistest aushalten. Wenn ich es nicht mit dem Leben verbinden kann, wenn ich anderen Menschen nicht die Relevanz der Bibel und darüber hinaus auch der Person Jesus aufzeigen kann. Von einer extremen Enge, einem starken Schwarz-Weiß-Denken wurde mein Blick in die Weite geführt, weg von der Einseitigkeit, hin zur Pluralität.

Welche Rolle kann Gott hier spielen?
Carina: Mein Praktikum unter Prostituierten im HoffnungsHaus in Stuttgart war eine sehr prägende Zeit für mich. An einem Nachmittag saß mir eine Frau gegenüber am Tisch, sie kommt aus Osteuropa und ist seit vielen Jahren in der Zwangsprostitution. Sie hat zwei Kinder, die keinen Kontakt mit ihr wollen und ist stark drogenabhängig. Ihr Körper sieht total kaputt aus, er funktioniert noch, aber ihre Hände sind durch Wassereinlagerungen sehr dick und sehen demoliert aus. Ich sitze vor ihr, lackiere ihr die Nägel und schaue sie an. Ihr Leben, ihre Seele und ihr Körper ein Trümmerhaufen. Ich frage mich, was es angesichts ihres Schicksals bedeutet, dass Gott uns versorgt und beschützt? Welche Rolle kann die Botschaft der Heilung und Erlösung im Leben eines Menschen spielen, das von Zwangsprostitution und Menschenhandel bestimmt ist? Über dieses Praktikum hinaus war ich immer wieder bei Einsätzen dabei, in denen ich erleben durfte: Das, was ich tue, hat Wert! Wie zum Beispiel bei den Kinderfreizeiten in Hessigheim.

Während meiner ganzen Zeit am TSA habe ich neue Gaben entdeckt und wurde herausgefordert, sie auch einzusetzen. Vorher hätte ich nicht gedacht, dass ich mal so eine Freude und Leidenschaft fürs Predigen haben würde. Ich merkte, dass Gott mir gerade in diesem Bereich die Perspektive ganz praktisch eröffnet hat, und dass er mich gebraucht.

Oder doch lieber Baggerfahrer?
Flo: Wer hätte gedacht das vier Jahre so schnell rumgehen können? Ich nicht! In dieser Zeit hat mich besonders meine Vision für das Studium, die ich mir im ersten Jahr erarbeitet habe, durchgetragen. Ich wusste nicht genau wie, aber ich wusste, wer ich am Ende dieses Studiums sein wollte. Heute schaue ich zurück und staune: Ich bin jetzt da, wo ich im ersten Jahr noch nicht mal geträumt habe zu sein. Nicht perfekt, nicht fertig. Aber in allem so viel freier! Dabei haben mich besonders meine beiden Praktika im ICF geprägt. Hier durfte ich unglaublich viel über dienende, demütige und dennoch nicht bedienende Leiterschaft lernen. Dazu habe ich unglaublich viele Einblicke über Worship, Seelsorge und Theologie gewonnen, die ich direkt in meinem Leben anwenden konnte.

Mein theologisches Verständnis ist im TSA nicht nur breiter geworden, sondern vor allem tiefer. Und diese Tiefe hat etwas in mir freigesetzt: Leichtigkeit. Ich gehe unbeschwerter durchs Leben – nicht, weil alles leichter wurde, sondern weil mein Blick von Gott verändert wurde! Und ja, es gab Tage, da dachte ich: „Das war’s. Ich brech´ ab, ich werde Baggerfahrer, oder ich heuere auf einem Kreuzfahrtschiff an.“ Aber heute weiß ich: Es war genau richtig dranzubleiben, nicht weil es der leichteste Weg war. Nicht weil das TSA das war, was ich immer gesucht hatte, sondern weil ich das TSA gebraucht habe und durch die verschiedensten Herausforderungen gewachsen bin.

Immer füreinander da
Wenn wir zurückblicken, können wir alle drei sagen: Wir sind in unserer Persönlichkeit gewachsen und unsere Theologie hat sich entwickelt und ist in die Tiefe gewachsen. Besonders das Mentoring und die persönliche Seelsorge, die wir nutzen konnten, hat uns bei wichtigen Fragen und Herausforderungen weitergebracht hat. Uns ist klar: Das TSA ist mehr als nur ein Studienhaus! Neben völlig neuen Fragen (zum Beispiel der, wie Engel sich fortbewegen, die uns im Fach Dogmatik gestellt wurde…), eröffnete uns Gott auch durch die Zeit den Blick für Gemeinschaft. Vier Jahre waren wir gemeinsam im Alltag und im Studium unterwegs, haben uns ausgetauscht und füreinander gebetet. Das hat uns eng zusammengeschweißt und dafür sind wir sehr, sehr dankbar.

Raymond „Ray“ Albuschies liebt die pulsierende Kraft seines Motorrades, isst gern Zitronen und wird ab Januar in einem Gemeindegründungsprojekt in Magdeburg mitarbeiten.

Carina Wagner liebt die südafrikanische Sonne mit Blick auf den Tafelberg, trinkt gern Mango-Schorle und wohnt mit ihrem Mann in Karlsruhe.

Florian „Flo“ Hensel liebt gute Musik, guten Kaffee, guten Wein und arbeitet ab Herbst dort, wo Gott ihn hinführt.