Hürden überwinden lernen
Es ist eine relativ einfache Sache, anderen aufzutragen, zuzuhören. Aufmerksam und gründlich. Aber nicht selten stellt man dabei fest, dass der reine Apell sich im Leben verliert. Selbst dann, wenn die Beauftragten dem Auftrag zustimmen. Annabelle Schmidt hat sich mit dem beschäftigt, was da im Weg stehen kann und macht Mut, die Hürden zu überwinden.
Dieser Beitrage ist im LZA-Journal 2/2025Perspektive haben erschienen.

Man hört es immer wieder: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold,“ oder nach Goethe: „Reden ist ein Bedürfnis, Zuhören ist eine Kunst.“ Wem schon einmal ehrlich zugehört wurde, der weiß, wie wohltuend diese Erfahrung sein kann, aber wir alle erinnern uns bestimmt auch an Gespräche, in denen wir uns gewünscht haben, unser Gegenüber hätte besser hingehört. Oder Situationen, in denen wir selbst nur mit halbem Ohr dabei waren. Unser Bedürfnis zu reden geht einher mit einem Bedürfnis, gehört zu werden. Für die wenigsten von uns fühlt es sich zufriedenstellend an, einfach ins Nichts hineinzusprechen. Wir wünschen uns Gegenüber, die nicht nur irgendwie, sondern die genau hinhören und uns verstehen, die stehen lassen, was wir sagen. Gleichzeitig fällt es uns oft schwer, selbst solche Zuhörer zu sein. Was hindert uns daran und wie können wir die Kunst des Zuhörens lernen? Wie können wir aufmerksam werden, für das, was Gott und Menschen zu uns sprechen?
Stille in einer lauten Welt
Bonhoeffer schreibt in seinem Buch Gemeinsames Leben darüber, wie das Wort nicht zu den Lärmenden, sondern zu den Schweigenden kommt und wir oft „so belastet und überhäuft mit anderen Gedanken und Bildern, Sorgen [sind], dass es lange dauert, ehe Gottes Wort das alles beiseitegeräumt hat und zu uns durchdringt.“ Oft sprechen unsere eigenen Gedanken lauter als unsere Gegenüber. Was genau uns die Ohren verschließt und uns beschäftigt mag von Mensch zu Mensch variieren, aber wir alle brauchen ein gewisses Maß an Ruhe, um überhaupt Worte von anderen Geräuschen unterscheiden zu können.
Natürlich können und müssen wir nicht immer allen Lärm ausblenden. Aber vielleicht können wir uns kleine Inseln im Alltag schaffen, kurz innehalten oder spazieren gehen, um auf das zu hören, was in und um uns herum vor sich geht. „Es können nur diejenigen Gastgeber sein, die in ihrem eigenen Haus zuhause sind.“ Dieser Satz hat mich im letzten Jahr immer wieder begleitet und erinnert, dass wir nur dann anderen Raum schenken können, wenn wir selber diesen Raum haben – äußerlich wie innerlich. Wir brauchen nicht jeden Tag einen Großputz, um Menschen in unser Haus einzuladen. Aber die Gewohnheit, regelmäßig „aufzuräumen“ wird es einfacher machen, Platz zu schaffen für das, was Gott und Menschen zu uns sprechen wollen. Schon fünf Minuten können einen Unterschied machen. Wir sind so oft auf der Schnellspur unterwegs, aber letztlich können wir nur da zuhören, wo wir stehen bleiben, um zu hören.
Bereit, die Tür zu öffnen
Haben wir erst einmal in uns Raum geschaffen, ist die nächste Frage, wie ehrlich wir bereit sind, unsere Türen zu öffnen. John Steinbeck schreibt in seinem Roman Jenseits von Eden, dass „die Mehrzahl der Menschen sehen, was sie erwarten,“ während die wenigsten sehen, was wirklich ist. Wollen wir genau hinhören, müssen wir uns fragen, ob wir auch offen sind zu hören, was wir nicht erwarten oder was wir (noch) nicht verstehen. Dürfen andere Menschen und darf Gott uns überraschen? Oder sind wir bereits während wir zuhören mehr damit beschäftigt, unsere eigenen Gedanken zu formen, statt den Worten der anderen zu folgen? Oft nehmen wir nur kurz wahr, aber urteilen und handeln beziehungsweise reden schnell. Können wir lernen, das Verhältnis umzukehren und unvoreingenommen zu hören?
In meiner Ausbildung zur geistlichen Begleiterin hatten wir im letzten Jahr im Rahmen einer Kleingruppe immer wieder Zeit zu erzählen, was uns bewegt. Das Besondere war: Es wurde schweigend zugehört und dann auch schweigend für die erzählende Person gebetet, ohne das Gesagte zu kommentieren. Auch im Anschluss sollten wir nicht weiter darauf Bezug nehmen. In einer Welt, in der man oft kämpft, gehört zu werden, war diese Übung sowohl Geschenk als auch Herausforderung: Es war herausfordernd, mehr auf die Worte der anderen als meine eigenen Gedanken zu hören, aber letztlich sehr befreiend, zuhören zu dürfen ohne urteilen zu müssen und gehört zu werden, ohne beurteilt zu werden. Um ehrlich wahrzunehmen und zu hören, was mein menschliches Gegenüber und was Gott mir sagen wollen, müssen wir lernen, unsere eigenen Gedanken loszulassen. Nur dann können wir auch das hören, was außerhalb unseres eigenen Erwartungshorizontes gesprochen wird.
Ehrliches Interesse aufbringen
Ein guter Freund von mir hat über sich selbst beobachtet, dass es ihm vor allem dann leicht fällt zuzuhören, wenn er sich für sein Gegenüber interessiert. Je mehr Zuneigung und Liebe er empfindet, desto natürlicher ist es, auf das Gesagte zu hören und desto leichter fällt es ihm, sich Details tatsächlich zu merken. Ich denke es liegt etwas sehr Tiefes in dieser Beobachtung: Wem oder was wir lieben, dem schenken wir unsere Aufmerksamkeit, dem hören wir zu. Wer wenig liebt, wird auch wenig zuhören oder hören, ohne wirklich zu verstehen. Ehrliches Interesse, Neugierde und Staunen helfen uns, genauer hinzuhören. Auch dafür brauchen wir Zeit und Raum, der sich in einem vollen Leben oft nicht von selbst ergibt, aber den wir eingeladen sind, zu kultivieren.
Vor ein paar Jahren nahm ich an einem Seminar teil, auf dem wir uns einen ganzen Tag lang damit beschäftigen sollten, in die Natur zu gehen und einfach nur wahrzunehmen, was uns begegnet, ohne darauf zu reagieren. Diese Übung war erstaunlich schwer, aber zutiefst inspirierend. C. S. Lewis schreibt in seinem Buch Letters To Malcolm davon, dass jeder Busch das Potential hat, zu einem brennenden Dornbusch, zu einem Ort der Gottesbegegnung zu werden. Gott ist mit seiner lebensverändernden Kraft in und um uns herum am Werk und Menschen werden weiter mit uns sprechen, ob wir ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken oder nicht. Aber was können wir alles entdecken, worüber können wir noch staunen, wenn wir anfangen, uns für die Kunst des Zuhörens Zeit zu nehmen? Gott ist ein Gott, der spricht und da, wo wir stehen bleiben werden wir anfangen zu hören, was wir so vielleicht noch nie gehört haben.
Annabelle Schmidt kommt aus Süddeutschland und promoviert zurzeit in England. Sie ist Gastdozentin am TSA, liebt guten Tee und ist gerne an der frischen Luft um die Schönheit von Gottes Schöpfung zu bestaunen.
Foto: Jacob Wackerhausen / iStock

