Ein Blick ins Vorbildalbum
Viele schauen betreten aus der Wäsche, wenn sie nach ihren Vorbildern gefragt werden. Vor allem wohl deshalb, weil sie keine haben, nichts damit anfangen können in einer von Selbstbestimmung geprägten Zeit. Wir wollten von Stefan Pickel wissen, wie es denn bei ihm so aussieht, ob er noch welche hat. Als Antwort öffnet er sein Vorbildalbum und kommt richtig ins Schwärmen.
Dieser Beitrage ist im LZA-Journal 2/2025 Perspektive haben erschienen.
Ich sollte wieder mehr raus in die Natur. Spazierengehen mit meiner Fotokamera. Mein Papa hat das auch gemacht. Er war mir da ein Vorbild. Er hat mein Interesse für das Fotografieren geweckt, und ich habe als Kind viel von ihm abgeschaut. In seiner ruhigen Art war er geduldig auf der Suche nach dem passenden Motiv. Er nahm sich die Zeit, die richtige Perspektive zu finden. Es ist ihm gelungen, einen Teil der Wirklichkeit in sehr, sehr vielen kleinen 24 x 36mm Dia-Rähmchen festzuhalten. Seine Fotos sind Momentaufnahmen. Sie zeigen die Welt aus seinem Blickwinkel. Zu sehen bekamen wir die Bilder bei langen Dia-Abenden. Der Projektor klemmt. Die Leinwand steht schief. Aber seine Bilder sind schön. Sie haben mich schon bald motiviert, selbst meine Bilder mit der eigenen Kamera zu fotografieren.

Wir müssen nur hinschauen
Wir brauchen Vor-Bilder. Sie zeigen einen Ausschnitt. Sie beleuchten das Leben aus einer anderen Perspektive. Sie fokussieren. Sie richten den Blick auf das Entscheidende. Sie lassen Unscharfes in den Hintergrund treten und schärfen die Persönlichkeit. Vorbilder bringen Licht in die Situation. Sie helfen, das eigene Leben besser zu verstehen oder es anders, mutiger, getroster zu leben. Dazu müssen wir uns unsere Vorbilder anschauen. Früher blätterte man in dicken Fotoalben, heute digital bei Instagram und Co. Wenn ich mein „Vor-Bilder-Album“ anschaue, mache ich neben meinem Papa noch weitere, schöne Entdeckungen: Da sehe ich meinen Patenonkel. Er war Elektromeister und Allround-Handwerker. Ich durfte mithelfen und er hat mir etwas zugetraut. Er hat mich ermutigt, Dinge auszuprobieren und mich manchmal herausgefordert. Zum Beispiel bei der Autofahrt aus dem Dorf in die Großstadt. Ich als Fahranfänger am Steuer und er wortgewaltig auf dem Beifahrersitz. Schon als Kleinkind hat mich meine Mama (vorbildhaft!) mit in den Gottesdienst genommen. Das waren meine ersten Begegnungen mit Gott und mit dem Pfarrer, der mich später auch konfirmiert hat. Mit seiner Fröhlichkeit und nicht nur im Gottesdienst gelebten Frömmigkeit hat er bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen. Aus meiner Kindergartenzeit habe ich das Bild der Diakonisse vor Augen, die später auch in der Jugendarbeit meinen Glauben mitgeprägt hat. Das von ihr selbst gestaltete und mit ihrer schönen Schrift geschriebene Lesezeichen mit dem Bibelvers aus 1. Korinther 15,58 ist mir heute noch Ermutigung, wenn der Glaube wieder einmal schwer wird. Gerade dann brauche ich Vorbilder. Geschwister, die mir zeigen, wie der große Gott in meinem kleinen Leben Gestalt gewinnt. Sie helfen mir, ins Bild Christi zu wachsen. Sie ermutigen mich, in den „Spiegel“ von Christus zu schauen und seine Herrlichkeit zu sehen (2. Korinther 3,18).
Sie hinterlassen Spuren
Meine ersten "Gehversuche" in der christlichen Jugendarbeit waren begleitet und geprägt von solchen Vorbildern. Ich bin heute noch erleichtert, dass ich eine meiner ersten Bibelarbeiten über die „Rechtfertigung allein durch den Glauben“ aus dem 3. Kapitel im Römerbrief nicht alleine vorbereiten musste. Es gibt Vorbilder in meinem Leben, die ich nie persönlich getroffen habe. Ich kenne sie nur aus Veranstaltungen, die ich besuche oder Büchern, die ich gerne lese. Die Redner und Autoren wissen nicht, dass sie meine Vorbilder sind. Sie vermitteln mir aber Inhalte, die mich bestätigen, die manchmal aber auch meine Sichtweise ändern. Ich sehe den schon verstorbenen Hans-Peter Royer von den Fackelträgern in meinem Album. Die von ihm gelebte (leider oft vergessene) lebensverändernde biblische Wahrheit "Christus in uns“ hat mein Glaubensleben korrigiert. Sie hat den Druck genommen, Glaube erfolgreich produzieren zu müssen. Hans-Peter Royer sagt: „Das Leben als Christ gleicht nicht einem Ruderer, sondern einem Segler. Ich muss nur täglich mein Segel richtig setzen und in der richtigen Beziehung zu meinem Herrn stehen, alles andere macht er.“ Ich liebe hilfreiche Zitate von meinen Vorbildern! Und da gibt es noch viele unbekannte Vorbilder im Foto-Album: Gute Schnappschüsse, die ich „zufällig“ gemacht habe. Wir kennen uns nicht. Wir gehen wieder auseinander. Aber eine einzige kurze Begegnung hinterlässt Spuren in meinem Leben.
Nicht kopieren, sondern kapieren
Ich bin dankbar für meine Vorbilder. Sie sind Vor-Leber, Vor-Glauber, Vor-Denker, Vor-Macher. Sie sind Förderer und Herausforderer. Sie sind Wegbegleiter und Lebenspräger, Wertevermittler und Glaubenshelfer, Neugierigmacher und Knowhow-Geber. Es gibt nicht immer das eine große Vorbild für das gesamte Leben, aber Vorbilder für viele Lebenssituationen. Wichtig für mich ist, dass ich meine Vorbilder nicht kopiere, sondern kapiere: Ich will nicht einfach nur nachmachen, was ich sehe, sondern es in mein Leben übertragen. Ich möchte lernen, was mein Vorbild ausmacht. Darum ist Beziehung wichtig. Gemeinsam unterwegs sein in Ehe und Familie, in der Gemeinde und in Freundschaften, im Lebenszentrum. Beim Durchblättern fällt mir auf: In meinem „Vor-Bilder-Album“ sind viele Menschen aus der Vergangenheit. Wo sind meine Vorbilder von heute? Ich brauche sie. Und, ja! Es gibt sie. Aber ich merke vielleicht erst im Rückblick so richtig, wer sie sind und warum. In meinem Album ist noch Platz für schöne Erinnerungsfotos. Ich will mich an meinen Vorbildern freuen und neue finden. Ich will mich herausfordern lassen, mutige Schritte wagen.
Vielleicht sollte ich wieder mehr draußen fotografieren - mit meiner Tochter. Sie hat inzwischen meine alte analoge Spiegelreflexkamera erfolgreich im Einsatz. Die ersten Filme sind schon vollgeknippst und entwickelt. Sie zeigt mir das Leben aus ihrer Sicht. Und sie will von ihrem Papa lernen, so wie ich von meinem Papa. Ich kann ihr Vorbild sein, und vielmehr ist sie auch mir ein Vorbild. Nicht nur beim Fotografieren.
Stefan Pickel ist verheiratet mit Sonja, lebt in Hilsbach, gehört seit 2023 zum Mitarbeiterteam des LZA und kümmert sich als IT-Fachmann darum, dass wir mit der weiten Welt verbunden bleiben.
Foto: Jona Bastian / iStock

